Ein kleines Auto würde sich Jesus schon gönnen

In den USA werben fromme Ökopaxe mit dem Messias und seinen Aposteln für den Schutz der Umwelt

Von Dietmar Ostermann (Washington)

Jeden Morgen, wenn die Nachbarn die Garagentore hochkurbeln, geht Reverend Jim Ball zu dem nahe gelegenen Bahnhof. Dort wartet er auf den Regionalzug nach Washington. Knapp hundert Kilometer stromabwärts entlang dem Potomac-Fluss sind es vom kleinen Sprengel Brunswick in die Hauptstadt. Eine Strecke, die Pendler im Autoland USA normalerweise hinterm Steuer ihres Wagens zurücklegen. Auch Jim Ball hat ein Auto, einen Toyota Prius mit einem sparsamen Hybrid-Antrieb. Der schafft fünfzig Meilen mit einer Gallone Benzin, bräuchte also nur knapp fünf Liter für die hundert Kilometer bis zum Büro. Dort, in der modernistischen Riverside Baptist Church, ein paar Querstraßen von Washingtons monströsem Transportministerium entfernt angesiedelt, denkt der Reverend dann über Gott und das Auto nach.

"Was würde Jesus fahren?" Diese Frage schoss Jim Ball irgendwann durch den Kopf. Der Pastor aus Brunswick ist ein frommer Mann. Er glaubt, dass der Herr es nicht gerne sieht, wenn seine Jünger die Schöpfung mit Abgasen vernebeln. "Wie kann ich meinen Nächsten lieben wie mich selbst, wenn ich seine Lungen verpeste", fragt Reverend Ball. "Vielleicht hat mein Nachbar einen Sohn, der Asthma hat. Oder einen im Militär, der womöglich in den Krieg muss, weil wir so stark auf Ölimporte angewiesen sind." Zum Treibhauseffekt und zur Erwärmung der Erde beizutragen ist für ihn schließlich auch kein Liebesdienst an den Ärmsten dieser Welt. Weil deren Ernte dann vielleicht irgendwo in Afrika vertrocknet.

"Was ihr aber getan habt den Geringsten, das habt ihr mir getan", sagt Jim Ball, "Matthäus 25." Deshalb glaubt er, dass ein guter Christ sich genau überlegen sollte, ob und in welches Auto er steigt.

Im November haben Jim Ball und seine Mitstreiter vom "Evangelical Environmental Network" die "What Would Jesus Drive"-Kampagne gestartet. Seither wird in den Vereinigten Staaten im Fernsehen und in den Kirchen heiß diskutiert, wie umweltschonend sich Jesus wohl heute fortbewegen würde.

Bis vor zwei Monaten war das von Pastor Ball geleitete Netzwerk frommer Ökopaxe eher ein Mauerblümchen in der amerikanischen Umweltbewegung. Dem vor neun Jahren gegründeten EEN gehören fünfundzwanzig christliche Organisationen an, darunter die Entwicklungshilfeorganisation World Relief, die International Bible Society und Habitat for Humanity. Die bislang vielleicht spektakulärste Aktion des Netzwerkes war das Einsammeln und Recycling von Blechdosen beim " Creation Festival", dem größten christlichen Rock-Festival der USA. Dort lassen jedes Jahr mehr als fünfzigtausend Besucher einen riesigen Berg an leeren Cola-Dosen zurück. Fast zweihundert Kilo Aluminium hat das Netzwerk zuletzt der Wiederverwertung zugeführt.

Damit liegt EEN laut einer Studie des renommierten World Watch Instituts durchaus im Trend: Weltweit wenden sich immer mehr religiöse Gruppen und Glaubensgemeinschaften Umweltthemen zu. So retten thailändische Mönche Mangrovenwälder. Der orthodoxe Patriarch Bartholomäos organisiert Workshops zum Schutz der Wasservorkommen. In Pakistans wilden nordwestlichen Provinzen helfen islamische Gelehrte dabei, Aktionsplänen zum Umweltschutz auch in die Praxis umzusetzen.

Auch in den USA gibt es immer mehr religiöse Gruppen, die aus ihrem Glauben heraus den Auftrag herleiten, die Schöpfung zu bewahren. Rund 3500 christliche und jüdische Gemeinden haben sich mittlerweile verpflichtet, nur noch fair gehandelten Kaffee zu kaufen. Das christliche Energieunternehmen "Episcopal Power & Light" bietet seinen Kunden alternativ erzeugten Strom an. Zusammengeschlossen haben sich die religiös motivierten Umweltschützer unter dem ökumenischen Dach der "National Religious Partnership for the Environment".

Doch obwohl sich längst auch konservative Kirchenführer dem Thema zuwenden, wurde die neue grüne Botschaft von einer breiteren Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten bisher kaum wahrgenommen. Das hat sich nun mit der "What Would Jesus Drive"-Kampagne schlagartig geändert. Seit im vergangenen November auf ganzseitigen Anzeigen in Zeitungen ein betrübter Jesus auf ein vernebeltes Autobahn-kreuz blickte, steht bei Reverend Jim Ball das Telefon nicht mehr still.

Die Reaktion, sagt der Pastor aus Brunswick, sei einfach phänomenal. "Wir hatten gehofft, dass das eine oder andere Blatt aufmerksam wird und vielleicht ein Fernsehsender berichtet", erinnert sich Jim Ball. Dann aber brach die Sintflut plötzlich los: Rund 1900 US-amerikanische und auch ausländische Zeitungen, so Ball, hätten die Kampagne in den vergangenen zwei Monaten vorgestellt. "Wir waren in 400 lokalen TV-Stationen, allen großen Netzwerken, im Frühstücksfernsehen, bei CNN - überall." Inzwischen gilt die mit bescheidenen Mitteln gestartete "WWJDrive"-Aktion als ein genialer Mediencoup und erfolgreichste Umweltschutz-Kampagne seit Jahren.

Wenn Jim Ball den plötzlichen Erfolg erklären soll, richtet er den Blick bescheiden nach oben und sagt: "Ich denke, der Herr hat es getan."

Andererseits, US-Bürger sind eben nicht nur schwere Autonarren, die in immer größeren PS-Kutschen herumfahren und sich bei einem Benzinpreis von 40 Cent pro Liter weder um Verbrauch noch Abgase scheren. Sie sind zugleich auch tief religiös.

"Die meisten Menschen haben über ihre Transportmittel noch nie unter dem Gesichtspunkt nachgedacht, was ihr Glauben ihnen nahe legt", sagt Jim Ball, aber, setzt der Reverend hinzu: "Wenn man sie mit der Frage vom religiösen Standpunkt aus konfrontiert, werden sie nachdenklich." Wenn Umweltschutz im Namen Gottes daherkommt, hat das moralisches Gewicht. In Detroit wurden Jim Ball und seine Mitstreiter bei den großen Autoschmieden Ford und General Motors empfangen. Und selbst die sonst stramm industriefreundliche Regierung von Präsident George W. Bush ließ mittlerweile mitteilen, sie erwäge Vorgaben, um den Benzinverbrauch zu senken.

Was aber würde Jesus nun fahren? Jim Ball lächelt verschmitzt und schlägt ein Bein über das andere. Ja, nun. Er weiß das natürlich auch nicht. "Wir geben keine Empfehlung, keine Marke", sagt der Pastor, "wir sagen nicht, Jesus ist gegen Geländewagen, er mag keine Jeeps." Aber er wäre wohl, glaubt Jim Ball, vor allem viel zu Fuß unterwegs. Oder mit dem Fahrrad und der Bahn.

Ein Auto hätte Jesus zwar auch, weil es ohne in den USA nun mal nicht geht. Aber wohl eher ein kleines. Und vielleicht würde Jesus einen Carpool gründen - zusammen mit den Aposteln.

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Dokument erstellt am 23.12.2002 um 18:16:13 Uhr
Erscheinungsdatum 24.12.2002

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